PRESSE > der fiskus
Die Presse, Norbert Mayer, 24. Mai 2021
"Regisseurin Anita Vulesica hat Felicia Zellers scharfe Satire „Der Fiskus“ im Burgtheater Kasino mit einem tollen Ensemble perfekt umgesetzt.
Gibt es Bürgerpflichten, die mühsamer sind als Steuererklärungen? Sind sie nicht stets von der Furcht begleitet, dass all das doch nicht korrekt abgeführt wurde? Falsche Fragen. Taugt der Stoff für die Bühne? Aber ja! Am Samstag gab es im Burgtheater Kasino ein Theaterfest: Felicia Zellers Stück „Der Fiskus“ hatte in der Inszenierung von Anita Vulesica österreichische Erstaufführung. In 105 Minuten demonstrierten vier Schauspielerinnen und ein Schauspieler, dass dieses Ensemble erstklassige Mitglieder hat.
Die Szene wirkt surreal, agiert wird geradezu dadaistisch. Bühnenbildnerin Henrike Engel hat mit ein paar Planen, Gerüsten und Schreibtischen voll altem Büro-Zeug unter Schutzabdeckung ein verstaubtes Finanzamt gebaut, das abbruchreif ist. Es wird renoviert: Immer wieder Stromausfall, auch der Lift bleibt regelmäßig stecken. Unter erschwerten Bedingungen gehen hier fünf Staatsdiener ihrer Arbeit nach.
Man glaubt, sie alle zu kennen. Sabine Haupt spielt mit Verve die gewissenhafte Bea Mtinnen, die großem Steuerbetrug auf der Spur ist. Obwohl die erfahrenste und dienstälteste, wird Bea bei der Beförderung übergangen. Ihre Antagonistin Nele Neuer macht Karriere. Kongenial spielt Dorothee Hartinger diese intrigante Dame, die lieber bei Workshops Netzwerke knüpft, als ihre eigentlichen Aufgaben zu erfüllen. Kommt Druck von oben, drückt sie in windigen Fällen beide Augen zu. So geht Aufstieg! Furios entwickelt sich dieser Zweikampf.
Die Betriebsprüfung als Eroberung:
Assistiert werden sie dabei von einem Paar, das vom Eigen- statt vom Gemeinsinn angetrieben ist: Deleila Piasko winkt als Elfi Nanzen im Zweifel heikle Akten lieber durch, Bardo Böhlefeld als Elfis Mann Reiner Lös scheint stets mit dem eigenen Vorteil beschäftigt zu sein und geriert sich außerdem als Teilzeit-Künstler. Auch sie sind Meister der Situationskomik. Schließlich brilliert, wie zu erwarten, Stefanie Dvorak als immer wieder aus dem defekten Lift auftauchende, laszive Angie Außen, die von Betriebsprüfungen berichtet wie von Eroberungen.
Choreografin Mirjam Klebel hat das fantastische Quintett in seiner Bewegung optimal auf die irrwitzige Sprache abgestimmt. Solch eine Inszenierung macht enorm viel Spaß, das Finanzamt tanzt! Es wird großes absurdes Theater geboten. Hier passt einfach alles zusammen. Nur en passant scheint man Gesellschaftskritik zu erfahren. In Wahrheit aber ist es eine geballte Ladung."
Nachtkritik, Andrea Heinz, 22. Mai 2021
"Neues vom Geldgott:
Der Fiskus – was für ein dankbarer Dramenstoff er doch ist: Jede*r kennt ihn, jede*r hat damit zu tun, niemand mag ihn (so wirklich). Das Thema Steuern verbindet die ganz großen Themen des menschlichen (Zusammen-)Lebens: Gier und Neid, die ewig unerlöste Sehnsucht nach umfassender Gerechtigkeit bei gleichzeitigem Egoismus und Selbstgerechtigkeit, weil bei einem selber sind kleine Steuerbetrügereien ja nie so schlimm, wie wenn die anderen das machen. Hoffnung und Verzweiflung liegen oft nah beieinander bei der Steuererklärung, dazu die ständige Erinnerung daran, dass in einer Gesellschaft halt alle ihren Beitrag leisten müssen. Auch, wenn die meisten lieber nehmen würden, als geben.
Vorteile, Freibeträge, Blumengießen, Geld, die Wirtschaft, ist halt wichtiger, als man gerne wahrhaben möchte, und insofern hat Felicia Zeller schon recht, wenn sie anmerkt, dass dieses Thema zu Unrecht kaum dramatischen Widerhall findet. In ihrem 2020 für den Mülheimer Dramatikerpreis nominierten Stück „Der Fiskus“, das nun im Kasino des Burgtheaters Österreichische Erstaufführung hatte, geht es zuvorderst und eigentlich ausschließlich um Geld – und damit, wie sich weisen wird: um alles.
Ein bisschen MA24-mäßig schaut man hier vier Finanzbeamtinnen und einem Finanzbeamten bei der Arbeit zu, sie tragen die schönen Namen Bea Mtinnen (schön bieder mit zwei Brillen um den Hals und als einzige Frau auf einigermaßen flachen Schuhen: Sabine Haupt), Nele Neuer (patent und mit Drang zum Höheren: Dorothee Hartinger), Elfi Nanzen (eventuell schwanger, winkt die Fälle am liebsten durch: Deleila Piasko), Reiner Lös (schluffiger Singer-Songwriter im Nebenberuf: Bardo Böhlefeld) und Betriebsprüferin Angie Außen (mondän in wechselnden Outfits: Stefanie Dvorak). Sie jagen Steuerbetrüger und kämpfen für –Gerechtigkeit, aber eben auch für eigene Freibeträge und Vorteile, wie das Ehepaar Nanzen und Lös, oder um die Karriere und berufliche Machtpositionen wie die Kolleginnen Mtinnen und Neuer.
Atemlose Satzellipsen:
In Anita Vulesicas Inszenierung im Kasino ist ihr Büro eine verstaubte, ein bisschen nach Atomkrieg aussehende Baustelle. Die Schreibtische sind mit staubbedeckten Plastikfolien verhüllt, die die Beamt*innen mit Schwung ausschütteln, oder sich auch gerne mal – wenn sie zwischendurch in Ruhe arbeiten oder sonst was tun wollen – über den Kopf ziehen. Auch der Kronleuchter an der Decke ist verhüllt, zwei Baugerüste rahmen die Bühne, die die Spieler*innen manchmal besteigen, sich silberne Baustellenhelme und weiße Kittel überziehen, um dann zwischendurch ein wenig zu streichen, oder Blumen zu gießen.
Immer wieder mal fällt der Strom aus. So, wie man sich halt ein deutsches oder kakanisches Finanzamt vorstellt. Es ist alles ein bisschen veraltet und angegraut, trotzdem man von Social Media und irgendwelchen Paar-Börsen spricht (immer der gleiche Ärger!), das ist die sehr deutliche Botschaft: Die Computer sind wahrscheinlich auf einem Garagenflohmarkt bei Bill Gates billig hergegangen, die Klamotten und Perücken aus den 1970ern, die monströsen Augengläser auch.
Die Inszenierung legt von Anfang an Tempo vor, was sicher auch an Zellers atemlosen Satz-Ellipsen liegt. Dazu kommt ausgiebige Körperarbeit, immer wieder gibt es kleine Choreographien und Tanzeinlagen (Mirjam Klebel), bestimmte Bewegungsmuster sind wie kleine, immer wiederkehrende Motive: Das Scharren mit einem Fuß, das Rudern aus der Schulter mit dem gebeugten Arm; die Gesten zeigen, welche archaische Körperlichkeit in der vermeintlich trockenen Finanzmaterie steckt. Wie um das goldene Kalb wird dabei um einen ominösen Gegenstand in der Mitte des Raumes herumgetanzt: Ein farblich changierender Bildschirm auf einem Podest. Die Finanzen, die Steuergerechtigkeit, der Profit, all das ist eben auch Pseudo-Religion in atheistischen, entmythologisierten Zeiten.
Abstrakter Blick aus dem Maschinenraum:
Die Spieler*innen machen ihre Sache ganz wunderbar, sie legen große Spielfreude an den Tag und man hat wirklich Spaß dabei, ihnen zuzusehen. Das kann aber nicht darüber hinwegtrösten, dass der Abend, trotzdem dann noch ein bandenmäßiger Steuerbetrug aufgedeckt (Steuerkrimi nennen die schlechten Zeitungen so was) und jemand degradiert wird, zäh vor sich hinplätschert. Die exaltierte, leicht hysterische Atmosphäre ändert nichts daran, dass die Sache kaum je wirklich Drive kriegt, was zum einen an der unklaren Inszenierung liegt, die sich nicht wirklich entscheiden zu können scheint, ob sie sich jetzt über das Beamtendasein mokieren soll, oder für Steuergerechtigkeit plädieren.
Und sicher hat auch der Text selbst einen Baufehler, zeigt er doch eher den abstrakten Blick aus dem Maschinenraum, der einem*r natürlich weit weniger nahe geht, als es ein konkretes Schicksal, die Auswirkungen dieser Schieflage auf ein Menschenleben tun würden. Da ist also noch Luft nach oben – aber immerhin macht der Abend Lust auf mehr solcher Stücke, über Geld, Ökonomie, Hochfinanz. (Und Stücke mit Frauenüberschuss auf Bühne und am Regiepult, jawohl!)"
Wiener Zeitung Online, Martin Pesl, 24. Mai 2021
"Die Erotik der Fiskalpoesie:
Wen die Steuererklärung vor freudiger Erregung kurzatmig macht, das kann nur eine Finanzbeamtin sein. Das Stück "Der Fiskus" der Deutschen Felicia Zeller wagt den undankbaren Versuch, diese Begeisterung auf zuschauende Steuerzahler zu übertragen. Die vier Damen, die im baustellenverstaubten Büro auf Uraltcomputern herumklappern, finden die Finanzverwaltung jedenfalls superspannend. Der einzige Mann (Bardo Böhlefeld) könnte auch etwas zahlenferne Romantik vertragen, dient aber selbst seiner Kollegin/Ehefrau (Deleila Piasko) nur als Steuertrickkumpane. Vintage-Lockenköpfe tragen alle, das ist lustig und will es auch sein.
Der Komödienzwang, der sich durch manisches, choreografisch unterstrichenes Wiederholen von Textstellen ausdrückt ("Ich habe mein ganzes Leben der Steuergerechtigkeit gewidmet!"), macht die österreichische Erstaufführung durch Regisseurin Anita Vulesica im Burgtheater-Kasino etwas anstrengend. Dagegen hilft auch nicht, dass inmitten der angehäuften Fiskalpoesie kaum Platz für Handlung bleibt.
Wie sich die Schauspielerinnen in hochkarätige Schmiere hineinsteigern, bereitet dennoch Freude: Dorothee Hartinger gibt die neue Chefin, die am liebsten bei allen Anträgen die Durchwinktaste drückt, Stefanie Dvorak die Außendienstmitarbeiterin, die sich daran aufgeilt, falsch ausgewiesene Arbeitszimmer aufzudecken. Vor allen brilliert Sabine Haupt als verbissene Streberin auf den Fersen der großen Konzerne. Und wer aufpasst, nimmt vielleicht den einen oder anderen Tipp zur legalen Steuerersparnis mit."