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Project 1

Der Raub der Sabinerinnen

Autor Schönthahn

In einer Fassung von Anita Vulesica und S.V. Bungarten

Akademietheater Wien

Premiere 15. April 2023

PRESSE > Der Raub der Sabinerinnen

Salzburger Nachrichten – 16. April 2023 – Julia Danielczyk

Anita Vulesica inszeniert ›Der Raub der Sabinerinnen‹ im Akademietheater, ein Riesenerfolg.

»›Unverwüstlich‹ – so lautete das Urteil über Paul und Franz von Schönthans Schwank "Der Raub der Sabinerinnen" aus dem Jahr 1883, eine Verwechslungskomödie rund um Theaterleidenschaft.«

 

buehne-magazin.com – 6. April 2023 –  Sarah Wetzlmayr
Rhythmus ist alles


Mit dem „Raub der Sabinerinnen“ inszeniert Anita Vulesica ein Stück, das eine riesengroße Liebeserklärung an das Theater und der allerschlimmste Albtraum aller Theaterschaffenden zugleich ist. Wie das geht? Mit viel Humor und „R ’n’ B“.

Anita Vulesica ist Schauspielerin und Regisseurin. Wer nun sofort Goethes Faust unter der Last der verdammten zwei Seelen in seiner Brust zusammenbrechen sieht oder plötzlich dramatische Szenen innerer Zerrissenheit vor Augen hat, liegt damit absolut falsch. Die in Zadar, Kroatien, und in Berlin aufgewachsene Künstlerin ist davon überzeugt, dass man nicht nur für eine Sache brennen kann, obwohl das vor allem Frauen häufig abverlangt wird.


Wer die Chance hat, sich mit Anita Vulesica zu unterhalten, wird zudem schnell feststellen, dass sie gesellschaftlichen Normen und Kategorisierungsversuchen ohnehin nicht allzu viel abgewinnen kann. Glaubt man dem T-Shirt, das sie bei unserem Treffen im Akademietheater trägt, könnte sie sogar John, Paul, George und Ringo auf einmal sein. Das dafür notwendige Energiepotenzial brächte sie auf jeden Fall mit.


Regie als Befreiung
In Österreich trat Anita Vulesica in den vergangenen Jahren vor allem als erfolgreiche Regisseurin in Erscheinung. Ihre Grazer Inszenierungen „dritte republik (eine vermessung)“ und „Garland“ wurden mit Nestroy-Preisen bedacht. Im Akademietheater läuft ihre Inszenierung der Finanzamts-Komödie „Der Fiskus“ erfolgreich im Repertoire.


Bevor es für ihre Regiearbeiten Preise zu regnen begann, war Vulesica Ensemblemitglied an großen deutschen Schauspielhäusern wie dem Deutschen Theater Berlin, dem Schauspiel Leipzig und dem Schauspiel Frankfurt. Den Schritt in die Regie empfand sie trotz großer Liebe zum Schauspiel als Befreiungsschlag. „Ich habe gespürt, dass das Korsett, in das ich als festangestellte Schauspielerin geraten war, immer enger und enger wurde. Ich war so vielen Dingen ausgesetzt, die ich selbst nicht kontrollieren konnte, und mir wurde immer klarer, wie schwer es in diesem Betrieb sein kann, sich als Frau mit eigenen kreativen Ideen Gehör zu verschaffen.“


Sich von diesen Zuschreibungen zu lösen ermöglichte es ihr, ihrer kreativen Energie endlich freien Lauf zu lassen – denn davon hat Anita Vulesica reichlich im Gepäck. Auf jeden Fall, um sie auch noch schauspielerisch einzusetzen – zuletzt drehte sie den Spielfilm „Buba“ mit Bjarne Mädel.


Ob sie auch als Regisseurin arbeiten wollte, um die Beziehung zwischen den Spieler*innen und der Regie neu zu denken? „Auf jeden Fall“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen. „Ich habe immer gesagt, dass ich gerne die Regisseurin sein möchte, die ich so nie hatte. Ich bin davon überzeugt, dass Führung auch ohne Machtmissbrauch, Angst und Druck möglich ist.“


Geöltes Handwerk
Sich all dieser Dinge bewusst zu sein und sie dann auch noch in beachtlicher Denk- und Sprechgeschwindigkeit in Sätze verpacken zu können, die vor Dringlichkeit nur so strotzen, bedeutet jedoch nicht, dass Anita Vulesica völlig frei von Selbstzweifeln zu den Proben radelt. „Erst vor kurzem habe ich den Begriff ‚Impostor-Syndrom‘ von meiner Tochter gelernt“, erzählt sie lachend. Nach einer kurzen Pause setzt sie mit etwas tieferer Stimme nach: „Aber es gibt zumindest eine schöne Sache am Älterwerden: Die Stimme im Kopf, die einem sagt, dass man die Dinge, die man kann, wirklich kann, wird immer lauter. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht trotzdem scheitern können.“


Ums Scheitern geht es auch in „Der Raub der Sabinerinnen“, jener Komödie, an der Anita Vulesica mit den Spieler*innen gerade arbeitet. „Es ist ein Stück über den allerschlimmsten Albtraum aller Theaterschaffenden – dass eine Inszenierung nicht gelingt.“ Gleichzeitig ist es aber auch eine große Liebeserklärung an das Theater, fügt sie hinzu. Darüber hinaus hat sie der Titel des 1884 uraufgeführten Schwanks nicht mehr losgelassen. „Der Stücktitel beruht auf einem antiken Mythos und impliziert Gewalt an Frauen. Deshalb geht er für mich eigentlich gar nicht. Dennoch haben wir es bei diesem Stück mit einer Komödie zu tun. Diese Reibung fand ich spannend. Ich glaube, dass wir das über Cross-Besetzungen und die Tatsache, dass sich unsere Sabinerinnen etwas zurückrauben, gut lösen werden.“


In den Proben treibt Vulesica und ihr Team derzeit vor allem eines um: das Handwerk der Komödie. „Das ist ein Text, der nach einem geölten Handwerk schreit“, fasst sie mit einem Enthusiasmus zusammen, der bereits erahnen lässt, wie gut die Föhnfrisuren im Publikum am Ende des Abends noch sitzen werden. „Virtuoses Spiel, Geschwindigkeit und Genauigkeit stehen bei so einem Stück über allem. ‚R ’n’ B‘, wie ich immer sage – Rhythmus und Bräzision.“ Wenn Anita Vulesica an einer Inszenierung zu arbeiten beginnt, macht sie sich außerdem immer auf die Suche nach dem richtigen Sound, wobei sie damit nicht nur die Musik meint. „Ich träume von Theatersälen, in denen die Zuschauer*innen BHs und Teddybären auf die Bühne werfen, weil es plötzlich nicht mehr um intellektuelles Begreifen geht, sondern um einen Rhythmus, dem man sich nicht entziehen kann. Das heißt aber nicht, dass nicht auch anderes Theater stattfinden darf und soll“, ergänzt sie, bevor sich unsere Wege wieder trennen.


Can’t buy me love? Vermutlich nicht. Wer eine große Portion Theaterliebe erwerben möchte, kann das aber an der Abendkasse des Akademietheaters ganz einfach tun.

 

 

Nachkritik.de – 16. April 2023 – Reinhard Kriechbaum 


Schmierenkomödianten des Bürgertums


"Die Leute liegen (vor Lachen) unter dem Stuhl. Ich auch." Das hat immerhin Alfred Kerr anlässlich der Berliner Erstaufführung zugegeben. Wir brauchen uns also nicht Fremdschämen, auch wenn es eigentlich am Platz wäre, wenn heutzutage wieder irgendwo "Der Raub der Sabinerinnen" aufgeführt wird. Der Schwank der Brüder Franz und Paul von Schönthan aus dem Jahr 1883 ist seit hundert Jahren ja aus der Zeit gekippt und trotzdem scheinbar unverwüstlich. Jetzt im Akademietheater ordentlich aufgepeppt von Anita Vulesica und Svenja Viola Bungarten.

Komödien-Expertinnen
Der adrett in Bögen gelegte Vorhang ist das einzig Ordentliche, was der Theaterdirektor Emanuel Striese im Moment seinem Publikum anzubieten hat. Er und die anderen Protagonisten lugen am unteren Rand hervor. "Es ist aus!" Alle schauen betropetzt drein und ringen die Hände. Allgemeine Blamage. "Der Raub der Sabinerinnen", literarische Jugendsünde des Gymnasialprofessors Gollwitz, ist durchgefallen. Doch dann: Vorhang auf, Rückblende. Was war da los, wie ist es dazu gekommen, dass "Der Raub der Sabinerinnen" das sinistre Bühnenlicht hat erblicken dürfen, obwohl die Gattin des ins Theater vernarrten Herrn Professors so peinlich drauf bedacht ist, dass ihre Familie auch nicht ein klein wenig anstreift an den Brettern, die in ihren Augen die Halbwelt bedeuten?

Tief durchatmen, die nächsten eindreiviertel Stunden kommt man nicht dazu. Birgit Minichmayr ist in die Rolle des Theaterdirektors Striese geschlüpft, der daherkommt mit breitkrempigem Hut und aufgemaltem Schnurrbart. Schaut aus wie ein Westernheld, dem der Gaul durchgegangen ist. Aber Striese bleibt ja seine verschwörerische Überredungskunst, Minichmayr schlägt mit leicht rauchiger Stimme einen urkomischen Slang aus Wienerisch und Bayerisch an. Das klingt ein bisserl hinterfotzig-schleimig und kommt dann wieder mit überrumpelnder Direktheit. Mit dem Stück verbindet man ja diese Figur als Paraderolle schlechthin. Diesmal kommt's aber anders.

Aufpluster-Contest
Wenn es darum geht, das Überdrehte noch weiter zu winden, sogar an einer ohnedies schon eng gedrehten humoristischen Doppelhelix zu zwirbeln, dann ist man bei Anita Vulesica an der richtigen Adresse. Darauf ist sie unterdessen abonniert. Dieses ihr eigene Talent hat sie zuletzt bemerkenswerterweise an Stoffen vorgeführt, die so gar nicht lustspieltauglich anmuten. Im Kasino des Burgtheaters etwa hat sie mit Felicia Zellers "Fiskus" Steuerprüfungen aus dem Ruder laufen lassen und in Graz mit Thomas Köcks "dritte republik (eine vermessung)" den nationalstaatlichen Grenzziehungen parodistische Züge abgewonnen. Diese Produktion (2020) war dann für einen Nestroy-Preis gut, ebenso wie die Uraufführung von Svenja Viola Bungartens "Garland" ein Jahr später am selben Ort.
Mit Bungarten hat Vulesica auch jetzt zusammengearbeitet, sie haben ihre eigene Version vom "Raub der Sabinerinnen" hergestellt, und die verschlägt einem nicht nur wegen des Spieltempos den Atem. Dass die Hauptrollen genderfluid besetzt sind, ist mutmaßlich kein politisches Statement. Es hilft einfach beim Überdrehen. Sabine Haupt als Professor Gollwitz wirkt im viel zu groß geschnittenen, ur-altmodischen Anzug bemitleidenswert unbeholfen. So eine(r) muss es zu tun kriegen mit einer Ehefrau vom stattlichen Format eines Dietmar König (selbstbewusste Blondine) oder – noch mächtiger in der Erscheinung – der Weinhändlerin Karla (Rainer Galke)! Dafür begegnen Sabine Haupt und Birgit Minichmayr, Theaterdirektor und Professor also, einander auf Augenhöhe. Schurke und Theater-Draufgänger im aufgeplusterten Kleinformat. Das ist einfach umwerfend komisch.

Die Wohnung des Professor Gollwitz, der sich anfangs denkbar unkommod über zwei Lexikon-Türme gelegt hat und Siesta hält, hat keine Tür, sondern zwei Schwingflügel, wie ein Saloon im Wilden Western. Da trudeln also die ungebetenen Gäste ein, in einer Frequenz, dass die Türflügel nur so flattern. Flugs ändern sich in dieser Stück-Variante die Gewichte. Aus Stichwortbringern werden eigenwillige Charaktere, und plötzlich ist nicht nur der Theaterdirektor der Spielmacher. Eine so bunte wie verquere Gesellschaft ist nach Kräften dabei, sich selbst ad absurdum zu führen. Wo die Regisseurin hinzielt: Alle machen ihr eigenes Theater und sind darin unschlagbar als Schmierenkomödianten des Bürgertums.

Tohuwabohu der selbsternannten Selbstdarsteller:innen
Hinreißend Dorothee Hartinger als Haushälterin Rosa, wohl die eigentliche Frau in Haus und Herz des Professor Gollwitz. Stefanie Dvorak spielt gleich zwei Töchter des Professors, pubertär und besserwisserisch als Jugendliche. Als Ehefrau des Arztes Neumeier (Lukas Vogelsang) eine zickige Nervensäge sondergleichen. Es geht permanent rund, das Wort Outrage greift viel zu kurz. Aber das hat System und ist mit bewundernswertem Timing umgesetzt, ohne irgendwelche Schwachpunkte. In dem Tohuwabohu der selbsternannten Selbstdarsteller verschwimmt also die Grenze zwischen Theater und bürgerlichem Leben, das seinem Supergau entgegensteuert.
Ach, vom Papagei haben wir noch nicht erzählt! Annemarie Fischer sitzt da im Federkleid, Kopf und Federputz in einer Voliere. Sie ist nicht nur Ziervogel, sondern Souffleuse, die den Agierenden Stichworte gibt. Eine ziemlich geniale Figur-Erfindung. Vielleicht unser aller Theater-Vogel?

Kritikenrundschau


Er sei generell "kein schallender Theaterlacher", gesteht Martin Thomas Pesl in der Sendung Fazit auf DLF Kultur (15.4.23). Im Falle dieses Abends habe er sich aber "etwa ab der Häfte bei einem breiten Dauergrinser ertappt, der auch bis zum Schluss nicht weggegangen" sei. Sein Fazit: "Es war eine Liebeserklärung an das Theater an sich – egal, wie schlecht es ist, egal, wie fehlerbehaftet und egal, wie frei von jeglicher Tiefe."


"Herz des Abends" sei Birgit Minichmayr als Direktor Striese, findet Wolfgang Kralicek in der Süddeutschen Zeitung (17.4.2023): "Dass für ihre Interpretation Rainer Werner Fassbinder Pate stand, signalisieren nicht nur der ausgestopfte Bierbauch, das dünne Bärtchen, der Hut und die Lederjacke, sondern auch das weiche Bairisch, mit dem die Oberösterreicherin Minichmayr ihre Texte intoniert." Diese Figur sei schlichtweg "saukomisch". Was Minichmayr und der Rest des Ensembles veranstalteten sei als "Hommage an alle geborenen Theaterviecher zu verstehen".


"Bemerkenswert", so Margarete Affenzeller im Standard (17.4.2023), seien "die vielen kleinen komödiantischen Schaltstellen, die den Blutkreislauf der Inszenierung auf Trab halten". Minichmayrs Company-Leiter sei "ein umgekehrter Theatermacher Bernhards, der in künstlerischen Fragen nicht lange fackelt" und "als Rainer-Werner-Fassbinder-Verschnitt mit Lederjacke auftritt" um "in bayerisch-nestroyhaftem Sprachduktus von Shakespeares Maria Stuart" zu schwärmen.


Birgit Minichmayr spiele den Theaterimpresario "im Fassbinder-Gedenk-Outfit als mal bajuwarisch grummelnden, dann geradezu demagogischen Kraftmenschen mit einer so sprachlichen und körperlichen Wucht, dass diese Darbietung allein schon den Theaterbesuch wert ist", jubelt Benjamin Loy in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4.5.2023). "Doch auch der Rest des Ensembles harmoniert. Slapstick und Sprachwitz, hinter dem nur allzu häufig freudsche Versprecher das Bürgerbegehren launig enttarnen, werden kombiniert mit der richtigen Dosis Metatheater. (...) Das größte Verdienst der Inszenierung liegt aber womöglich darin, dass das radikal anarchische Identitätsspiel einer Bombe gleicht, die in die sauber ausgehobenen Schützengräben der verminten und humorbefreiten identitätspolitischen Schlachtfelder der Gegenwart einschlägt."


 

Raub Presse
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